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Beitrag vom 09.10.2008
BARAKAT - Es reicht - ein Film von Djamila Sahraoui
»Nana« Nicole Wenger
Die algerische Filmemacherin Sahraouri begleitet in ihrem Spielfilm-Debüt zwei eigenwillige Frauen auf ihrer lebensbedrohlichen Suche nach einem geliebten Menschen. Ihre Reise führt nicht nur ...
... in das Innere eines gespaltenen Landes, sondern vielmehr an die Grenzen der eigenen Moral und Vorstellungskraft.
Sahraouis Film spielt im algerischen Irgendwo. Er beginnt in einem kleinen Küstendorf und führt in die Kriegsruinen der Bergdörfer. Der Ort ist nicht wichtig im Algerien der neunziger Jahre.
Amel ist eine moderne wie eigenständige Frau und - für die Zeit ihres Landes – außergewöhnlich und furchtlos. Die Mittdreißigerin ist nicht Mutter und Hausfrau, wie viele ihrer Nachbarinnen, sondern sie trägt Hosen, offenes Haar, fährt Auto, spricht unaufgefordert und setzt als Notärztin täglich ihr Leben aufs Spiel. Auch die Sperrstunde kann sie nicht davon abbringen den Nachbarsjungen eigenhändig ins Krankenhaus zu bringen. Nichts – keine Straßensperre und auch kein vor Waffenpotenz strotzender Söldner. Doch eines Tages bedarf Amel selbst der Hilfe und Solidarität ihrer Mitmenschen. Denn ihr Mann, Journalist und Kritiker der herrschenden Umstände, ist spurlos verschwunden. Die Ärztin stößt auf eine Mauer des Schweigens und das Desinteresse der polizeilichen Behörden.
Es ist schließlich die über sechzigjährige Krankenschwester Khadidja, die schon als Widerstandskämpferin gegen die französische Kolonialmacht ausweglose Situationen, Skrupel und Todesängste überwinden musste, die ihr hilft. Als furchtlose, sich schminkende, rauchende und vor allem unbequeme Frau kann sie die nötigen Informationen für Amel beschaffen und verfügt über die nötigen Kontakte. Verbindungen und spezielle Fähigkeiten, wie die Erstversorgung von Schussverletzungen garantieren das Überleben der beiden Frauen, die in einer Welt leben, in der unverschleierte Frauen verjagt und verfolgt werden. Schon der kleinste Verstoß gegen vermeintliche Ehr- und Moralvorstellungen, der kleinste Nonkonformismus setzen diese Frauen der Todesgefahr aus.
Gemeinsam brechen sie auf ihren Weg in unwegsame und bedrohliche Gegenden Algeriens auf, wird auch ihre Freundschaft auf eine schwere Probe gestellt. Denn bei allem Mut und aller Unerschrockenheit, sind auch diesen mutigen Frauen starre Grenzen der äußeren Umstände gesetzt. Keiner weiß, wem er vertrauen kann. Vermeintlich gut gemeinte Hinweise entpuppen sich als Fallen. Nur ein Mann, eine einsamer und armer Bauer aus den Bergen, nimmt sich den beiden Frauen an. Mit einem Eselskarren, Unmengen von Khadidjas Ironie und Amels Durchhaltevermögen setzen sie gemeinsam ihre Reise ins Ungewisse fort, die im Schlechten wie im Guten ihre Spuren hinterlassen wird.
Nichts hinzunehmen und doch alles zu versuchen scheint die gemeinsame Triebfeder dieser doch recht unterschiedlichen Frauen zu sein. Ein verstörender und hoffnungsvoller Film - nicht nur für starke Frauen!
Zur Regisseurin: Djamila Sahraoui wurde 1950 in Algerien geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft in Algier und Regie an der französischen Filmschule IDHEC in Paris. BARAKAT! Ist ihr erster abendfüllender Spielfilm. (Informationen: Freunde der dt. Kinemathek)
AVIVA-Tipp: BARAKAT! ist ein kleiner, ambitionierter Film, der gerade durch seine wenigen Dialoge, seine französisch-arabische Sprachvielfalt und dem Wechsel in unterschiedliche Dialekte die Zerrissenheit Algeriens widerspiegelt. Er fängt mit seinen ergreifenden Bildern die Unsicherheit dieser Zeit ein, in der sich kritische Frauen wie Männer unter schwersten Bedingungen einen Weg für ein selbstbestimmtes Leben erkämpfen müssen. Zwar bleiben einige Fragen unberührt und unbeantwortet, doch zeigt Djamila Sahraouri das Porträt zweier Kämpferinnen, mitsamt ihren Schwächen, ohne in ein oberflächliches Heldinnen-Epos zu geraten.
BARAKAT!
Algerien / Frankreich 2006, OmU
Buch: Djamila Sahraoui, Cécile Vargaftig
Regie: Djamila Sahraoui
DarstellerInnen: Rachida Brakni, Fettouma Bouamari u.a.
Verleih: Freunde der dt. Kinemathek
Lauflänge: 95 Minuten
Kinostart: 2.10.2008